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Lexikon > Helikopter-Eltern


Unter Helikopter-Eltern, auch Hubschrauber-Eltern oder als Fremdwort Helicopter Parents (engl. helicopter parents oder paranoid parents), versteht man populärsprachlich überfürsorgliche Eltern, die sich (wie ein Beobachtungs-Hubschrauber) ständig in der Nähe ihrer Kinder aufhalten, um diese zu überwachen und zu behüten. Ihr Erziehungsstil ist geprägt von Überbehütung und exzessiver Einmischung in die Angelegenheiten des Kindes oder des Heranwachsenden.
Den Ausdruck „Helikopter-Eltern“ haben 1990 die amerikanischen Psychiater Foster W. Cline und Jim Fay geprägt.1
Ein ständiges in der Nähe sein von Eltern im Leben eines Kindes hat laut einer empirischen Studie mit 1.605 Kindern keinen förderlichen Einfluss. Die reine Quantität an Zeit, die Mütter mit ihren Kindern im Alter von 3 bis 11 Jahren verbringen, hatte keine Beziehung zur kindlichen Entwicklung. Das Ergebnis umfasste die schulischen Leistungen, das Verhalten und das emotionale Wohlbefinden der Kinder.2
In Deutschland werden zwei von drei Grundschulkindern von den Eltern zur Schule gebracht und abgeholt, meistens mit dem Auto.3

Begriffe


Die Begriffe Überbehütung (englisch: overprotection) und Überfürsorglichkeit bezeichnen allgemein Verhaltensweisen von Eltern, bei denen das Bedürfnis, ihr Kind zu beschützen und zu versorgen, übermäßig ausgeprägt ist. Dieselben Begriffe sind auch auf andere menschliche Beziehungen anwendbar, beispielsweise zwischen Ehepartnern. Der Begriff Helikopter-Eltern ist eine populäre Bezeichnung für eine moderne Form der Überbehütung, bei der die ständige Überwachung des Kindes im Vordergrund steht. Helikopter-Eltern üben ihre Elternrolle in übertriebenem Maß aus (englisch: overparenting), das heranwachsende Kind hat dadurch zu wenig äußere und innere Freiräume. Eine andere Art von Überbehütung ist die Verwöhnung, die im Gegensatz zum Verhalten von Helikopter-Eltern nicht mit übermäßiger Kontrolle verbunden sein muss. Verwöhnung besteht darin, dem Kind (oder dem Partner) Belastungen und Anstrengungen zu ersparen und ihm möglichst viele Wünsche zu erfüllen.
Die Hubschrauber-Metapher wurde bereits 1969 vom israelischen Psychologen Haim G. Ginott in seinem Werk Between Parent & Teenager verwendet, der einen Heranwachsenden zitiert: „Mother hovers over me like a helicopter“.4
Im Dänischen entstanden 1999/2000 die Sportmetaphern curlingbarn („Curling-Kind“, dänisches Synonym: servicebarn) und curlingforældre („Curling-Eltern“).5 Bekannt wurden sie durch Veröffentlichungen des dänischen Psychologen Bent Hougaard in dänischer Sprache (2000) und in schwedischer Sprache (2004).67 Ähnlich wie beim Wischen im Curling entfalten Curling-Eltern eine enorme Aktivität, um dem Kind jedes Hindernis zu ersparen, sodass es nicht lernt, Widerstände eigenständig zu überwinden und Probleme selbstständig zu lösen.
Das Gegenteil der Überbehütung ist die Vernachlässigung. Einen extremen Kontrast zu überbehütenden Erziehungsweisen bildet das Free-Range Parenting, das im englischen Sprachraum besonders von Lenore Skenazy vertreten wird.

Beschreibung nach Wendy Mogel


Die amerikanische Familientherapeutin Wendy Mogel beschrieb im Jahr 2001, wie sie in ihrer Praxis moderne Eltern von umsorgten Mittelschichtkindern erlebt: „Von außen betrachtet, wirkt ihr Familienleben perfekt. Die Eltern besuchen jede Schulaufführung und jedes Fußballspiel ihrer Kinder. [...] Sie kennen alle Freunde ihrer Kinder und die Berufe der Eltern. Wenn die Schulleistungen abfallen, organisieren sie Nachhilfe.“ Nach Mogels Auffassung kann jedoch ein overparenting Bettnässen, Essstörungen, ADHS oder schwerwiegende Schulprobleme zur Folge haben. Zudem üben solche Eltern massiven Bildungsdruck aus. Leistungen in der Schule und im Sport würden als wichtiges Familienerzeugnis interpretiert werden. Als Ausweg beschreibt Mogel die Erziehung zu emotionaler Stabilität, Widerstandsfähigkeit und Eigenständigkeit, orientiert an einem jüdisch-traditionellen Wertekanon. Sie befürwortet hierarchische Familienstrukturen, empfiehlt Eltern aber gleichzeitig mehr Zurückhaltung in der Erziehung.8
Wie Mogel ausgeführt hat, liegt die Problematik dieses Verhaltens nicht nur darin, dass betroffene Eltern Risiken, die ihren Kindern drohen, systematisch falsch einschätzen. Mogel kritisiert, dass diese Eltern sich ? obwohl sie liebevoll, intelligent, einfühlsam und äußerst engagiert sind ? in ihrer Erziehungsarbeit weitgehend auf ein Mikromanagement der wechselnden Stimmungen des Kindes beschränken und darüber das große Ganze der Erziehung aus dem Blick verlieren: dem Kind Werte zu vermitteln und es zu Widerstandsfähigkeit und Selbstständigkeit anzuleiten („Charaktererziehung“).

Diskurs im deutschsprachigen Raum



Psychologische Hintergründe


Zunächst wurde die Diskussion durch den Kinderpsychiater Michael Winterhoff aufgenommen. So schrieb er in seinem Werk Warum unsere Kinder Tyrannen werden, dass sich immer mehr Jugendliche aus bürgerlichen Familien in Psychotherapie befänden. Sie seien Kinder von engagierten, beziehungsfähigen Eltern, die alles für ihren Nachwuchs getan hätten. Winterhoff sieht das Problem darin, dass es den Eltern an Orientierung und Anerkennung mangele, sodass sich ihnen das Kind zur Kompensation anbiete. Winterhoff plädiert für die Wiederherstellung einer „natürlichen Hierarchie“ zwischen Eltern und Kindern.8
Der Reformpädagoge Wolfgang Bergmann meint, dass verwöhnte Kinder in aller Regel unglücklich seien und dieselben Verhaltensprobleme wie vernachlässigte Kinder zeigten. Kinder müssen sich laut Bergmann in einem möglichst geordneten Umfeld zurechtfinden und diese äußeren Ordnungen verinnerlichen können. Sie wollen sich in den Eigenarten, Gesten, Blicken, Stimmen ihrer Eltern „spiegeln“. Das Gefühl, dass sich die ganze Welt um sie dreht, raube ihnen dieses Gegenüber. Anders als Winterhoff empfiehlt Bergmann aber nicht mehr Disziplin und Gehorsam in der Erziehung, sondern einen „gelassen-liebevollen Kontakt“.8
Der dänische Familientherapeut Jesper Juul hält die Schäden durch Überbehütung sogar für schlimmer als die Folgen von Verwahrlosung, Ignoranz und Desinteresse der Eltern. Der Hintergrund von Überbehütung sei ein Narzissmus der Eltern: Sie wollten glückliche und erfolgreiche Kinder haben, um sich selbst als kompetent erleben zu können.8

Überbehütung erwachsener Kinder


Der Erziehungswissenschaftler Andrä Wolter warnt vor zu viel Einmischung insbesondere bei erwachsenen Kindern: „Helicopter Parents verlängern die Abhängigkeitsphase und fördern nicht die Selbstständigkeit.“
Der Psychoanalytiker und Verhaltenstherapeut Jost Ackermann nannte als Folgen eines möglichen Ablösungskonfliktes: „Depressionen, Verweigerungshaltungen und der Griff zu Drogen“. Natürlich sei es wünschenswert, dass sich Eltern für ihre Kinder interessierten und diese auch förderten; spätestens mit Beginn eines Studiums sollten sie aber loslassen.9
Der Erziehungswissenschaftler Albert Wunsch hat die Erfahrung gemacht, dass manche Eltern aus der Mittel- und Oberschicht nicht nur in der Hochschule, sondern auch beim künftigen Arbeitgeber mitmischen: „Eltern haben heute viel mehr Zeit für ihr ,Projekt Einzelkind‘ als früher, wo sie noch drei oder vier Kinder bekamen [...]. Und wenn Eltern erst mal 18 Jahre lang ihre Verwöhn-Strategie verfestigt haben, können sie nicht plötzlich aufhören, nur weil Sohn oder Tochter nun auf die Uni oder ins Berufsleben gehen.“10

Soziologische Faktoren


Der Hirnforscher Ralph Dawirs nennt die Gründe komplex; viele davon lägen in gesellschaftlichen Veränderungen: Es gebe immer weniger Kinder, auf die sich nun alles konzentriere. Diese sollen in einer Leistungsgesellschaft bestehen können; die Ansprüche an sie seien entsprechend hoch. Früher dagegen lebte der Nachwuchs öfter in Großfamilien, die Kinder in einem Stadtviertel spielten zusammen, auch die Nachbarn schauten nach dem Rechten. So gab es eine Art öffentliche Aufsicht, und die Erziehung verteilte sich auf mehrere Erwachsene: „Damit existierte auch ein natürliches Korrektiv“.11
Unter dem Titel Helikopter-Eltern publizierte der Schulpädagoge Josef Kraus im August 2013 eine Streitschrift zum Thema. Süddeutsche.de bewertet das Buch als „kraftvolle Klage über die Mischung aus verkrampfter Frühförderung und nachgiebiger Verwöhnung, die sich seit einiger Zeit in Mittelschichtsfamilien breitmacht“, und zitiert Kraus: „Dieselben Kinder, die man durch Förderprogramme gern dressiert, schont man auf der anderen Seite im Übermaß.“ Kraus schätzt den Anteil solcher Eltern auf zehn bis fünfzehn Prozent. Er warnt davor, dass immer mehr Kinder in der „Gluckenfalle“ landen. Die Folgen seien eine zunehmende Unselbstständigkeit und eine „Hilflosigkeit, gepaart mit hohen Ansprüchen“.12 Das Deutschlandradio sieht Widersprüche bei Kraus. So fordere Kraus beispielsweise „mehr Selbständigkeit der Kinder, zugleich aber auch einen höheren Leistungsdruck“. Insgesamt sei das Buch „rückwärts gewandt“ und plädiere „kompromisslos für Leistungsdruck, Auslese, Disziplin“.13
Im deutschsprachigen Raum dreht sich ein Großteil des öffentlichen Diskurses um das „Mikromanagement“, das viele Eltern in den Bildungsangelegenheiten ihres Kindes praktizieren. Das Ergebnis seien überlastete und regelrecht verplante Kinder. Oftmalige Folgen seien auch Konflikte mit Lehrern, Schulwechsel und ähnliches.14 Gelegentlich wird auch das Thema angeschnitten, dass „Hubschraubereltern“ dazu neigen, ihre Kinder mittels technischer Geräte wie GPS-Sender und Mobiltelefon zu überwachen.15

Kritik an Psychologen und Pädagogen


Die Journalistin Inge Kloepfer bezieht eine Gegenposition. In der FAZ hat sie ein „Lob der Helikopter-Eltern“ formuliert und gefordert, mit dem „Eltern-Bashing“ aufzuhören. Sie verweist unter anderem auf den britischen Soziologen Frank Furedi. Dieser habe schon 2002 in seinem Buch Die Elternparanoia darauf hingewiesen, dass überbesorgte Eltern das Ergebnis, ja geradezu das Ziel der ständigen Warnungen von „Experten“ vor falscher Erziehung seien. Furedi zog nicht gegen die Eltern zu Felde, „sondern gegen eine ganze Armee von selbsternannten Experten, Psychologen und Pädagogen, die nichts anderes als eine große Elternverunsicherung im Sinn und ihr Ziel schon fast erreicht hätten: paranoide Eltern, die ihre Kinder vor jeglichem Ungemach des Lebens abzuschirmen versuchten – und dafür keine Kosten scheuten“. Die Erziehung sei schon seit der Antike, spätestens seit Rousseau, ständig kritisiert worden: „Richtig gut waren die Zeiten für Eltern noch nie.“ Studien, die der Frage nach einem Zusammenhang zwischen Erziehungsstil und Charakterbildung nachgingen, lieferten keinesfalls eindeutige Ergebnisse, und bei der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen spielten viele Einflüsse eine Rolle. Tatsache sei, dass es dem Nachwuchs in Deutschland besser als jemals zuvor gehe: „Dafür spricht eine Vielzahl von Kinder- und Jugendstudien.“16 Inwieweit sich daraus auch gesunde Erwachsene entwickeln, lässt sie dabei offen.

Literatur


  • Josef Kraus: Helikopter-Eltern. Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung. Rowohlt Verlag, Reinbek 2013, ISBN 978-3-498-03409-2
  • Wendy Mogel: The Blessings of a Skinned Knee: Using Jewish Teachings to Raise Self-Reliant Children, New York, London, Toronto, Sydney, Singapore: Scribner, 2001, ISBN 0-684-86297-2 (gebundene Ausgabe; )


In der Kunst und Film


  • Die fabelhafte Welt der Amélie
  • Bubble Boy
  • Findet Nemo
  • Johann Königs Helikoptereltern17
  • Black Mirror, Folge Arkangel18


Weblinks


  • [http://www.focus.de/kultur/medien/kultur-und-leben-medien-an-der-nabelschnur-durchs-leben-gezogen_aid_757886.html An der Nabelschnur durchs Leben gezogen], Focus, 26. Mai 2012
  • [http://www.beobachter.ch/familie/erziehung/artikel/helikopter-eltern_kinder-unter-der-kaeseglocke/ Kinder unter der Käseglocke], Beobachter, 1. Nov. 2013
  • [http://www.sueddeutsche.de/medien/generation-weichei-auf-sat-wo-die-helikopter-kreisen-1.1905491 Wo die Helikopter kreisen], Besprechung des Dokumentarfilms Generation Weichei (2010) in der Süddeutschen Zeitung, 6. März 2014


Siehe auch


  • Erziehung zur Selbstständigkeit
  • Eltern-Kind-Beziehung
  • Kindeswohl
  • Brutpflege


Einzelnachweise





Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Helikopter-Eltern

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